Militärische KI: Zeit und Muster

Militärische KI: Zeit und Muster

Eigentlich habe ich lange gezögert, mich zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) zu äußern. Wahrscheinlich interessiert es sowieso, so gut wie niemanden, was ich dazu denke. Da aber Pilgermaske für mich auch sowas wie ein Tagebuch ist, will ich zum Thema KI auch meinen Gedanken Auslauf lassen. KI begeistert mich!

Leider bin ich nur ein Systemadministrator und kann so die technischen Feinheiten der KI Technik nur schwer nachvollziehen geschweige denn entwickeln und programmieren. Aber interessiert schaue ich dazu jede Menge Dokumentationen in Mediatheken und Fernsehbeiträge. Was dabei auffällt, dass diese Dokumentationen immer auf die Zerstörung der Menschheit hinauslaufen. Die Aussagen schwanken zwischen Totaler Überwachung und Atomkrieg. Muss es so enden?

Als vor Tausend Jahren Linux und die freie Lizenz (z.B. die GPL) geboren wurde und sich immer mehr durch setzte, gab es eine vergleichbare Diskussion: Wer hat die Kontrolle über den Code? Die Antwort war im Wesentlichen, dass es durch den freiliegenden Code - Lizenzrechtlich wie auch physisch - eine gesellschaftliche Kontrolle geben würde. Ich schaue bei technischen Dokumentationen immer gerne auf die Monitore die im Bild im Hintergrund stehen und versuche zu erkennen, welches Betriebssystem dort läuft. Dann stellt der Beobachter fest, dass Satelliten, Raketen und Drohnen mit Linux gesteuert werden, dass in Laboren Analysesoftware auf Linux Basis eingesetzt wird und dass globales Monitoring (egal, welcher Art) ohne Linux gar nicht funktioniert.

Damit erkennt der Beobachter, dass Open Source Software, freie Lizenzen und gesellschaftliche Kontrolle nicht automatisch zu einer "friedlichen" Nutzung von Linux führte. Ich hätte damals gerne im GPL-Lizenztext einen Absatz gesehen, der Vorgibt, dass GPL-Software nicht in Verbindung mit Militärischen Produkten genutzt werden darf. Quasi eine "pazifistische Software". Keine Steuerung von Raketen und Drohnen mit Linux, keine Entwicklung von Chemischen und Biologischen Kampfstoffen mit Linux, keine Globale Überwachung mit Linux - ein naiver Traum.

Künstliche Intelligenz ist ein weiterer wichtiger Schritt in der IT Entwicklung. Es kann sich gefreut werden, dass jetzt relativ frühzeitig um eine Kontrolle dieser Technik gerungen wird. Aber machen wir uns nichts vor, wenn das Militär es will, bekommt es das und hat es schon. Ich stelle mir eine praktische Nutzung der KI im militärischen Umfeld so vor:

Rotland hat Krieg mit Blauland. Blauland hat eine stabile und umfassende KI Technik aufgebaut. Diese Technik wird natürlich vom Militär beansprucht. Es dient sicherlich zu Schulungen von Piloten, Schiffs- und Panzerbesatzungen. Der meteorologische Dienst kann seine Wettervorhersagen optimieren. Und die Geheimdienste machen auch ihren Schnapp!

So können zum Beispiel die Waren-Importe von Rotland effektiv analysiert werden. Damit wird bei Importen abgeschätzt wie erfolgreich die Angriffe waren und welche Reserven vorhanden sind. Wenn die Art und Menge dieser Importe bekannt ist, kann erkannt werden, wie Transportwege an die Front verlaufen. So können z.B. Muster der Zug-Umleitungen erkannt werden. Wenn Waren eintreffen, werden im Vorfeld folgende Züge umgeleitet: der Zugverkehr einer örtlichen Fabrik, verschiedene Regionalzüge und der Nachtzug nach Irgendwo. Immerhin müssen ja die Importe schnell an die Front. Das kann im Vorfeld über die Dienstpläne der Zugführer für Transportzüge herausgelesen werden. Zugführer von Güterzügen und normalen Zugverkehr sind sicherlich konstant für die jeweilige Art im Einsatz. Als Ergebnis zeichnet sich also ein Muster ab. Welche Strecken? Welches Personal? Welche und wie viele Ressourcen? In welchen Zeitraum? Mit welchen Ziel?

So wird in der Militärischen Ausbildung immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig das Trinken für einen Soldaten ist und wie schnell es vergessen werden kann (Gefahr der Dehydrierung im Einsatz). Gleichzeitig gibt es Warnungen, dass der Gegner das lokale Wasser mit Chemikalien angereichert haben kann. Damit bleibt eigentlich nur das Anliefern von Wasser aus dem Hinterland (andere technische Lösungen mal ausgeschlossen). Wenn wir davon ausgehen, dass jeweils zehntausende Soldaten im Einsatz sind, müssen die Tankzüge ihr Wasser aus einer bestimmten Region beziehen. Die Wasserleitung eines Bahnhofs lässt wohl kaum einen Wassertank-Zug in einem überschaubaren Zeitraum befüllen. Mit dem Dienstplan der Zugführer, den Fahrplänen der Züge und ihren Umleitungen und der Art des Transports, lässt sich im Vorfeld vielleicht schon ein taktischer Vorteil erarbeiten. Sollte also ein Tankzug mit etwa 50.000 Liter und zwei Liter pro Soldat und Tag geplant sein, könnten so ca. 25.000 Soldaten für einen Tag versorgt werden. Damit weiß Blauland genauer, wie viele Soldaten im Einsatz sind, wie die Versorgungsroute verläuft und wo Schwachstellen zu finden sind. Diese Transportzüge fahren allerdings nicht direkt an die Front. Das Wasser muss also in Wasser-Tankwagen umgeladen werden. Tankwagen werden i.d.R. mit Diesel fahren. Damit ist im Vorfeld mit einer Anlieferung von Diesel zur Betankung der Wassertank-Wagen in einen bestimmten Gebiet zu rechnen. Wenn keine Pipeline und keine Raffinerie in der Nähe des Frontabschnitt ist, kann also auch hier mit geänderten Zugplänen für eine schnelle Passage der Diesel-Tankzüge gerechnet werden. Weitergedacht entfaltet sich damit im Vorfeld die komplette Infrastruktur eines Gegners.

Ist das so spannend? Hat man diese Informationen nicht sowieso? Wofür gibt es Spione, Hacker und Internet? Alter Kram.

Genau, und da kommt Künstliche Intelligenz ins Spiel. Die KI ermöglicht es, die Informationen schneller zusammen zustellen, Muster z.B. bei den Zug-Umleitungen zu erkennen und Aktionen mit entsprechenden Ressourcen-Einsatz zu planen, die kritische Punkte in diesen Muster sabotieren - in kürzester Zeit! Und das ist in der heutigen Zeit der einzige wirkliche Vorteil eines Militärs: etwas früher zu erkennen. Die britische Marine ist vor 300 Jahren nicht nur zu einer starken Seemacht aufgestiegen, weil sie gute Schiffe und Männer hatte, sondern auch als erste Marine eine transportfähige und zuverlässige Uhr einführte, die es der Marine ermöglichte, die genauen(!) Standorte der Schiffe und die zeitliche Koordinierung der Schiffe auf See zu optimieren und dann als starker Verband anzutreten.

Wenn eine Stärke der KI bei der zeitlichen Aufarbeitung und Darstellung von Daten liegt, ist die Muster-Erkennung ein weiterer herausragender Punkt. Mit der kontinuierlichen Auswertung von gewählten Daten kann so ein Muster wie ein Fraktal immer tiefergehend ausgewertet werden. Quasi eine Fraktale Informationskette (siehe Link unten). Wenn also im Beispiel von Importen gesprochen wurde: Immer von diesen Hafen. Warum? Hat der Hafen bestimmte Verlademöglichkeiten? Von welchen Speditionen wird der Hafen regelmäßig angefahren? Was transportieren die Laster? Welche Art von Laster? Welche Art von Schiffen wird beladen? Was wurde bevorzugt in früheren Fahrten auf diesen Schiffen transportiert? Wie heißt der Kapitän? Hat er regelmäßig einen Monat vorher eine Prämie überwiesen bekommen? Kündigt sich also eine nächste Fahrt an? Wenn wir davon ausgehen, dass die Mehrheit dieser Informationen heutzutage sowieso aus dem Internet zu gewinnen sind, braucht eine KI also nur schnelle Soft- und Hardware, um damit die Muster für den (nächsten) Import vorherzusagen. Die Stärke der KI ist also Muster-Erkennung und Schnelligkeit.

Mit diesen Qualitäten der KI fällt es mir schwer, einen 'pazifistischen Grundsatz' für diese Technik zu formulieren. So kennen wir den pazifistischen Konsens zum Thema "Atom-Technik": Atomraketen wollen wir nicht, aber die friedliche Nutzung wie z.B. Röntgen oder Energie-Gewinnung ist ok. Und einen solchen Grundsatz einer 'friedlichen Nutzung' von KI Technik zu formulieren, halte ich nicht mehr für möglich. Dazu ist die Muster-Erkennung und der gewonnene Zeit-Vorteil für das Militär - egal welches! - zu verlockend. Hoffentlich bin ich beim nächsten Weltkrieg schon unter der Erde.

Weitergehende Infos:

Wer sich fragt, wie die Bundeswehr dazu steht, findet hier vielleicht hilfreiche Aussagen. Interessant ist auch das Mandelbrot Fraktal Modell, siehe diesen Link und klicke immer wieder in das Bild. Die IT Webseite Golem.de hat einen Artikel mit einer beispielhaften Auflistung von verschiedenen Military KI Projekten erstellt.

Update:
Na also, es fängt schon an, siehe hier. Ergebnisse von politischen Eskalations-Szenarien mit KI-Simulationen finden sich in diesen Artikel.


Autor: Mathias R. Ludwig

MCSE, MCITP, MCDBA, RHCT, CompTIA, ITILv3, AdA, VWA Ökonom, Dipl.SozArb., Kfz-Mechaniker, Panzer-Mechaniker/-Fahrer (HptGefr), Stanislaw Lem und Linux Fan, Feuerpferd.

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