Gerade habe ich auf spiegel.de gelesen, dass der SS Kriegsverbrecher John Demjanjuk gestorben ist. Friedlich, in einem deutschen Altenpflegeheim fand der mittlerweile staatenlose Ukrainer sein Ende, nachdem er im 2.Weltkrieg als Angehöriger der Roten Armee von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen, sich freiwillig zur SS meldete und nach einer entsprechenden Ausbildung im Lager Sobibor eingesetzt wurde.
Auch wenn es vor verschiedenen Gerichten strittig war, ob er wirklich an schrecklichen Verbrechen beteiligt war, können wir wohl davon ausgehen, dass die freiwillige Meldung zur SS nicht gerade eine menschenfreundliche Gesinnung förderte. Letztlich befand das Landgericht München 2 John Demjanjuk schuldig der Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen. Was ist aber das wirklich Besondere daran?
Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, dass Geschichten immer zwei Seiten haben. Die Frage ist also, wer welche Seite der Geschichte erzählt! Und so eröffnet auch gleich der Sohn John Demjanjuk’s die Rechtfertigung des Vaters mit seiner Sicht der Geschichte, in der Demjanjuk als Opfer der damaligen sowjetischen und deutschen Aggression dargestellt wird: Die Wandlung vom Täter zum Opfer ist eingeleitet. Wer aber schreibt Geschichte?
In der Vergangenheit waren das beauftragte Schreiber und Schreiberinnen, Papier und Tinte die Mittel, die eine Geschichte in die Lehrbüchern, in die Archive und in das Fernsehen brachten. Letztlich war es auch immer sehr einfach, solange es sogenannte Zeitzeugen gab, Geschichte und Geschichten freizulegen und zu belegen. Mehr oder weniger glaubhaft…. Was aber, wenn die Zeitzeugen wegsterben?
Das liest sich jetzt vielleicht sehr brutal, aber ist eben auch der Lauf des Lebens: Menschen sterben und damit auch Generationen. Generationen an Zeitzeugen. Und Generationen wachsen nach, welche die Geschichte mit Abstand sehen und wahrscheinlich auch mit anderen Motivationen: Plötzlich ist aus einen SS Folterknecht ein Opfer geworden und 28.060 Menschen im Lager Sobibor an kollektiven Herzversagen gestorben.
Damit gebiert für die Informationstechnologie ein neues Aufgabengebiet: Geschichts- Schreibung. Genauer müßte man es vielleicht sogar mit einen technischen Begriff wie “Geschichtssicherung” oder “Backup Geschichte” umschreiben. Damit bekommen Digitale Archive zukünftig einen anderen Stellenwert für Archivare, Historiker und Historien.
Letztlich stellt sich natürlich auch die Frage, wer und mit welchen Zielsetzungen Digitale Archive pflegt?! Immerhin wird das (zukünftige) Geschichtsbild auch dadurch geprägt, je nach dem, welche Dokumente eingescannt, welche Zeitzeugen befragt und welche Datenträger gesichert werden! Wer entscheidet, welche Digitalen Daten “sicherungswürdig” sind oder werden?
Auch wird z.B. die Haltbarkeit der Datenträger eine große Rolle spielen: Die Haltbarkeit einer CD/DVD wird mit 10 Jahren angesetzt. Also kann es schwer werden, eine Digitale “Mona Lisa” die nächsten 100 Jahre zu archivieren. Wenn diese Daten verloren sind: Wer schreibt dann die Geschichte neu? Und mit welchen Inhalten und Lehren?
Wie dem auch sei: Den neuzeitlichen Archivaren stehen große Aufgaben bevor.
Weblinks zum Artikel
| Artikel zu Demjanjuk | Deutsche Digitale Bibliothek | Beispiel: Digitale Archivierung vom Bund | Wayback Machine
[UPDATE,08.04.2023]
Interessanter NTV online Artikel mit Interview zu einen Bundes-Projekt, dass definiert, Technische Daten für mindestens 500 Jahre zu archivieren.
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